Kommentar zu E-Fuels: Der Scheinriese der Energiewende

Die Debatte um E-Fuels erinnert an den Scheinriesen Tur Tur: Je näher man ihm kommt, desto kleiner erscheint die Möglichkeit, ihn je auf dem Markt zu sehen.

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Audi A5

(Bild: Pillau)

Lesezeit: 9 Min.
Inhaltsverzeichnis

Die Diskussion rund um E-Fuels ist nicht totzukriegen. Immer wieder ploppt der synthetische Kraftstoff als Lösung auf, um den Fahrzeugbestand zu dekarbonisieren. Mich erinnert diese heiß gelaufene Debatte, jüngst befeuert vom designierten Volkswagen-Chef Oliver Blume, an eine Figur aus der wunderbaren Geschichte "Jim Knopf und Lukas, der Lokomotivführer". Der Scheinriese Tur Tur wurde immer kleiner, je näher man ihm kam. Ähnlich ist es mit den Argumenten für E-Fuels auch: Je näher man sich mit ihnen beschäftigt, desto seltsamer erscheint, warum gewisse Kreise so hartnäckig auf sie setzen.

Dabei klingt das aus der Ferne betrachtet alles ganz plausibel: Mit Ökostrom hergestellt entlässt der synthetische Sprit beim Verbrennen nur so viel CO₂, wie zuvor entnommen wurde. Der Wirkungsgrad spielt eine untergeordnete Rolle, wenn überschüssiger Ökostrom verwendet wird. Nicht zu unterschätzen ist außerdem, dass der gewaltige Bestand an Fahrzeugen nicht auf dem Müll landet, sondern weiterbetrieben werden kann. Zusammengenommen scheinen das also auf den ersten Blick keine schlechten Argumente, auf diesen Treibstoff zu hoffen.

Porsche-Chef Oliver Blume gehört zu den prominenten E-Fuels-Befürwortern, was in seiner bisherigen Position auch nachvollziehbar ist. Immerhin 20 Prozent der 2030 angebotenen Porsche-Neuwagen sollen noch einen Verbrennungsmotor haben. Mit E-Fuels ließen sie sich weniger umweltschädlich bewegen als mit veredeltem Erdöl. Doch die Porsche-Klientel entspricht nun nicht gerade dem Durchschnitt aller Autofahrer. Wird flüssiger Kraftstoff massiv teurer, wird sich der Porsche-Fahrer mehrheitlich darüber vielleicht ärgern, den Preis aber wohl hinnehmen. Die Annahme, dies auf die Mehrheit der Autofahrer skalieren zu können, erscheint reichlich kühn. Dort spielt der Preis durchaus eine entscheidende Rolle. Zum Beleg dieser These reicht wohl der Hinweis auf den temporären Tankrabatt, dem massiver politischer Druck vorausgegangen ist.

Nun, wenn der denn irgendwann tatsächlich in relevanter Menge auf dem Markt sein sollte, wird er nach allem, was wir aktuell absehen können, eines ziemlich sicher nicht: billig. Aus den seit vielen Jahren mit vielen Steuermitteln geförderten E-Fuels-Forschungsanlagen hierzulande tröpfelt flüssiger Treibstoff zu Gestehungskosten von deutlich über vier Euro je Liter. Mit riesigen Anlagen und Massenproduktion sinkt der Preis durch eine Skalierung natürlich, wobei niemand einen Gestehungspreis von – seien wir ruhig einmal ganz optimistisch und schauen in die ferne Zukunft – 1,5 Euro/Liter mit dem Endkundenpreis an der Tankstelle verwechseln sollte. Anlagenbetreiber, Transporteur und Tankstellenbesitzer arbeiten schließen nicht (nur) aus Idealismus, und auch der Staat wird seinen Anteil einfordern.

Strom vs. Sprit: Wer fährt günstiger?

Zusammengefasst erscheint es also allein bezogen auf die Kosten ein wenig schräg, gegen die teure Elektromobilität zu argumentieren und gleichzeitig E-Fuels als Alternative zu präsentieren. Die Befürworter sind oftmals die Gleichen, die ganz plötzlich eine soziale Ader beispielsweise für die viel zitierte Krankenschwester entdecken, die sich ja die teuren E-Autos als Neuwagen nicht leisten könne. Das ist fraglos erst einmal richtig, allerdings trägt das E-Auto an deren Bezahlung keine Schuld. Und ob nun Strom oder Sprit: Zu jenen, die sich hierzulande einen Neuwagen leisten können, gehören sie so oder so nicht. Ich wünschte mir, dass Kreise, die gegen die teure E-Mobilität wettern und für E-Fuels als Alternative plädieren, einmal den Mut aufbrächten, ihrer Zielgruppe zu eröffnen, dass die schlecht bezahlte Krankenschwester dann mit drei Euro aufwärts den Liter rechnen darf. E-Fuels bedeuten eben nicht, wie dort wortgewaltig verkauft wird: "Es geht mit E-Fuels einfach weiter wie bisher, du musst dich nicht umgewöhnen."

In der Debatte verwundert aber am stärksten, dass einige argumentieren, als stünde die Massenproduktion von synthetischem Kraftstoff unmittelbar bevor. Das ist nirgendwo auf der Welt der Fall, und auch nicht absehbar. Die Forschungsanlage in Chile, an der unter anderem Porsche und Siemens beteiligt sind, soll irgendwann in der Lage sein, im Jahr so viel Liter E-Fuels zu produzieren, wie aktuell allein in Deutschland innerhalb weniger Tage in Motoren verbrannt wird. Egal, wie man es dreht: Ein Ersatz für die rund 16 Milliarden Liter Erdöl, die wir global täglich(!) verarbeiten, zeichnet sich da auch bei viel gutem Willen nicht ab. Es wäre auch etwas vermessen, das einer einzelnen Anlage aufzubürden.

In der Anlage in Patagonien (Chile) ist auch die Stromerzeugung vor Ort.

(Bild: Siemens Energy)

Hinzu kommt, dass E-Fuels nur dann irgendwie argumentativ zu verkaufen sind, wenn der enorme Energiebedarf bei der Herstellung dieses Sprits aus regenerativen Quellen stammt. Patagonien wurde als Standort für die genannte E-Fuels-Forschungsanlage gewählt, weil dort fast immer der Wind weht. Der Strom für die Anlage lässt sich also vergleichsweise einfach regenerativ erzeugen. Doch das ist kein Argument, ihn zu verschleudern. Vielmehr wäre er im chilenischen Stromnetz viel besser aufgehoben, um dort fossile Energieträger zu ersetzen. Das ist lokal eine gewaltige Herausforderung, da der Standort ziemlich abseits der Zivilisation liegt. Unlösbar ist das Problem allerdings nicht.

Global haben wir derzeit nirgendwo so viel Ökostrom überschüssig, als dass wir ihn verschleudern könnten. Windräder und Solaranlagen, die hier zeitweise vom Netz genommen werden, sind nicht etwa ein Zeichen für zu viel Strom, sondern Zeugnis einer verplanten Energiewende. Unser Netz ist nicht dafür ausgelegt, den Strom ausreichend breit zu verteilen. Schlecht regelbare, fossile Kraftwerke blockieren vielfach die Einspeisung von Ökostrom, obwohl der eigentlich per Gesetz Vorfahrt haben sollte. Als Weg des geringsten Widerstandes nimmt man aber viel einfacher Wind- und Photovoltaik vom Netz, so schwachsinnig das aus ökologischer Sicht auch ist.

Was das Argument, man könne diese Anlagen dann einfach laufen lassen, statt sie zeitweise stillzulegen, lahmlegt. Eine Produktionsanlage für E-Fuels ist teuer, wir können sie also nicht massenhaft im Land aufstellen, wo immer vielleicht regenerative Kraftwerke potenziell vom Netz genommen werden. Selbst an Standorten, wo dies vergleichsweise oft geschieht, ist das eine unkluge Idee. Denn wenn sich die teuren Produktionsanlagen rentieren sollen, müssen sie im Idealfall 24/7 laufen, und nicht nur dann, wenn für Ökostrom im Netz mal wieder kein Platz ist. Andernfalls wird die Angelegenheit für den Endkunden nochmals dramatisch teurer - ein schlichter, betriebswirtschaftlicher Fakt.

Ich glaube nicht, dass auf absehbare Zeit in der motorisierten Individualmobilität alle mit batterieelektrischen Antrieben unterwegs sind. Vielmehr erscheint mir wahrscheinlich, dass es künftig einen Mix an Energieträgern geben wird: Strom aus Batterien im Auto, Strom aus Wasserstoff, vielleicht synthetisches Gas und, ja, auch E-Fuels. Doch zu dieser Aussage gehört ehrlicherweise ein grobes Skizzieren der zu erwartenden Verhältnisse. Die Masse wird künftig batterieelektrische Autos nutzen. Aus dieser Logik folgt, dass alle anderen Energieträger Randerscheinungen sein werden – mit den erwartbaren Folgen: Da ihnen Skalierungseffekte fehlen, wird ihre Nutzung für den Einzelnen teuer. So teuer, dass fast zwangsläufig sich jeder durchschnittliche Autonutzer überlegen wird, ob er für die paar Langstrecken im Jahr eine Ladepause von vielleicht 15 bis 20 Minuten nach 300 km wirklich nicht akzeptieren kann.

Wer für E-Fuels trommelt, muss beantworten, warum er massenhaft Ökostrom verschleudern will, um ihn in Form von E-Fuels anschließend mit einem unterirdischen Wirkungsgrad zu verbrennen – anstatt mit dem regenerativ erzeugten Strom fossile Energieträger im Netz zu ersetzen. Als Alternative zu Benzin und Diesel für die Massen taugt er mit seinem zu erwartenden Preis auf absehbare Zeit keinesfalls. Bis er in relevanter Menge zur Verfügung steht, dauert es selbst bei optimistischer Sicht auf die Dinge noch Jahre. Zeit, die wir angesichts der Klimaveränderungen nicht mehr haben. Von Lärm und Abgasen vor Ort einmal ganz abgesehen, denn an denen ändert sich mit der Verwendung von E-Fuels ja nicht automatisch etwas.

Sollten es E-Fuels also auf den Markt schaffen, was durchaus realistisch erscheint, werden sie es einer kleinen Gruppe von Nutzern erlauben, ihr Fahrzeug weniger umweltschädlich zu betreiben. Die Kosten dafür müssen dieser Gruppe zweitrangig sein, was in einigen Fällen gar nicht so unwahrscheinlich ist: Private Rennfahrer und Besitzer von Oldtimern beispielsweise nehmen schon jetzt so hohe Kosten für ihr Hobby in Kauf, dass die Spritkosten ein zu vernachlässigender Posten in den Gesamtkosten sind. Gedankliche Rechnung: Der Oldie nimmt 10 Liter/100 km und wird 1500 km im Jahr bewegt. Ob der Sprit dafür nun 250, 300 oder auch 500 Euro kostet, spielt angesichts der sonstigen Unterhaltskosten eine untergeordnete Rolle.

Wer nur gelegentlich einen Klassiker fährt, ist unter Umständen bereit, die höheren Kosten für synthetischen Kraftstoff zu tragen. Denn in den Gesamtkosten spielen die Spritpreise bei den oftmals geringen Jahresfahrleistungen eine Nebenrolle.

(Bild: Mercedes)

Die Masse aber betreibt das Autofahren nicht als Hobby oder aus reinem Vergnügen, sondern muss schauen, dass die Unterhaltskosten im Rahmen bleiben. Diesen Menschen zu suggerieren, mit E-Fuels ging es einfach weiter wie gewohnt, ist günstigstenfalls unwissend, meist vermutlich aber dreist gelogen. Kosten und Verfügbarkeit sprechen auf absehbare Zeit nicht dafür, dass synthetischer Sprit eine Alternative zum Elektroauto für die breite Masse wird. Vor allem aber ist er auf keinen Fall ein brauchbares Argument dafür, den Bestand an Neuwagen mit Verbrennungsmotor immer weiter anwachsen zu lassen.

(mfz)