Chatkontrolle: EU-Rat vertagt Abstimmung nach Widerstand aus Deutschland

Der Gesetzentwurf zu den umstrittenen Aufdeckungsanordnungen für Missbrauchsmaterial ist von einer entscheidenden Ratssitzung am Mittwoch gestrichen worden.

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Hand an Smartphone mit WhatsApp offen

(Bild: Maxim Studio/Shutterstock.com)

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Der jüngste Zeitplan der EU-Länder über die Beratung des seit Langem umkämpften Entwurfs der EU-Kommission für eine Verordnung zur Online-Überwachung ist nicht mehr zu halten. Eigentlich sollte der wichtige Ausschuss der Ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten (Coreper) das Dossier zur Chatkontrolle durch WhatsApp & Co. am Mittwoch besprechen und beschlussreif machen für das Treffen der Justiz- und Innenminister am 28. September in Brüssel. Doch daraus wird nichts: Wie heise online aus Regierungskreisen erfuhr, wurde das Thema von der Coreper-Sitzung gestrichen.

Das Bundesjustizministerium (BMJ) werbe im Kreis der internationalen Kollegen weiterhin für seine Position, hieß es weiter. Ressortchef Marco Buschmann (FDP) hatte zuvor mit seinen deutschsprachigen Amtskollegen in einem gemeinsamen Brief an die übrigen Justizminister der Mitgliedstaaten umfangreiche Korrekturvorschläge eingebracht. Im April einigte sich die Bundesregierung nach langem Streit auf eine gemeinsame Stellungnahme zu der Gesetzesinitiative. Sie ist demnach etwa für den "Ausschluss von Maßnahmen, die zu einem Scannen privater verschlüsselter Kommunikation führen". Alles, was zu einem "Bruch, einer Schwächung, Modifikation oder einer Umgehung von Ende-zu-Ende-Verschlüsselung" führe, müsse "durch konkrete technische Anforderungen" ausgeschlossen werden.

Die FDP-geführten Bundesministerien für Digitales und Justiz zeigten schon frühzeitig rote Linien zu dem Kommissionsentwurf auf. Sie verlangten etwa auch, bei einer Altersverifikation für Messenger- und Hosting-Dienste sowie App-Stores die Vorlage des Personalausweises auszuschließen. Digitalminister Volker Wissing stellte im Frühjahr ein Veto in Aussicht und betonte: "Die Bundesregierung hat auf europäischer Ebene ein klares Signal gesetzt, dass Deutschland dem Verordnungsvorschlag nicht zustimmen wird, wenn nicht grundlegende Änderungen erfolgen. Das gilt für mich im Hinblick auf das Scannen privater Kommunikation auch dann, wenn sie unverschlüsselt ist."

Das BMJ setzt sich nun nach Informationen von heise online für die Idee einer Auf- beziehungsweise Abspaltung ein und hat diese in der Ratsarbeitsgruppe bereits vorgestellt. Demnach sollen die umstrittenen Teile des Verordnungsvorschlags der Kommission in den Artikeln 7 bis 11 zu Aufdeckungsanordnungen nebst Aspekten wie Client-Side-Scanning (CSS), also dem Durchsuchen und Ausleiten privater Kommunikation direkt auf Endgeräten der Nutzer, vom Rest des Entwurfs getrennt werden. Verbleibende Komponenten wie Vorschriften zum Risikomanagement für Plattformbetreiber, Berichts- und Löschpflichten und zu einer geplanten EU-Behörde könnten so rasch beschlossen und als Erfolg im Kampf gegen Missbrauchsdarstellungen angesehen werden.

Das Lobbying rund um das Dossier nahm in den vergangenen Wochen massiv zu. Die Digitalwirtschaft läuft aktuell Sturm gegen die Chatkontrolle. Mitte September schickten die Initiative European Digital Rights (EDRi) und 81 weitere zivilgesellschaftliche Organisationen einen offenen Brief an die EU-Regierungen. Sie forderten, die Verordnung so lange abzulehnen, "bis sie die Online-Rechte, -Freiheiten und -Sicherheit vollständig schützt". Das Bündnis "Chatkontrolle stoppen" appellierte am Montag an die Ampel, den Koalitionsvertrag umzusetzen und das Überwachungsgesetz zu stoppen. Am heutigen Dienstag marschierte dagegen ein Bündnis europäischer Kinderschutzaktivisten teils in ABC-Schutzanzügen zum EU-Parlament, um für die vorgesehenen Maßnahmen gegen den sexuellen Kindesmissbrauch im Netz zu trommeln. Innenkommissarin Ylva Johansson bezeichnete dies als Ansporn, weiter für die Verordnung zu kämpfen.

(axk)